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Der Change Prozess in der Arbeitswelt und auf den Arbeitsmärkten

Zeiten ändern s(d)ich

Als Carl Benz den „Motorwagen Nummer 1“ am 29. Januar 1886 beim Reichspatentamt unter der Nummer 37435 anmeldete, haben nur die wenigsten seiner Zeitgenossen darin einen Meilenstein in der Geschichte der Technik gesehen. So wurde das für die damalige Zeit seltsam anmutende, größtenteils aus Fahrradteilen bestehende Fahrzeug mit drei Rädern von vielen Seiten als „Spinnerei“ und „unnötiger Humbug“ abgetan. Benz bewies jedoch Durchhaltevermögen. Wurden bis 1893 insgesamt nur 69 Fahrzeuge verkauft, war er bereits fünf Jahre später im Begriff, seine Werkstatt zur größten Automobilfabrik der Welt auszubauen. 2.000 Fahrzeuge hatte Benz bis dahin verkauft, die Jahresproduktion lag bei 750 Stück. Heute wissen wir, dass Carl Benz mit der Erfindung des Automobils Industriegeschichte geschrieben hat. Der rasante technologische Fortschritt hat damals zu einer tiefgreifenden und dauerhaften Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, der Arbeitsbedingungen und Lebensumstände in Europa und der Welt geführt.

Heute – etwa 150 Jahre später – erleben wir die mittlerweile vierte Phase der industriellen Revolution, doch sind die dadurch entstehenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen nicht weniger tiefgreifend als zu Zeiten von Carl Benz, Werner von Siemens oder Robert Bosch. Letztendlich bedeutet fortschrittlich zu denken, damals wie heute, an die Umsetzbarkeit und die wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Potenziale von technologischen Visionen zu glauben. Big Data und Künstliche Intelligenz (KI) werden dazu führen, dass zahlreiche Tätigkeiten nicht mehr auf den Arbeitsmärkten nachgefragt werden. Welche und in welchem Ausmaße, wie schnell und wo, hierzu gibt es durchaus unterschiedliche Prognosen, so dass ein detaillierter arbeitsmarktpolitischer Masterplan der KI heute noch nicht möglich ist.

Die neue Welt des Arbeitens wird flexibler, mobiler und produktiver sein. Neue Technologien ermöglichen es virtuellen Teams, über kontinentale Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten, Wissen und Ideen nahtlos auszutauschen und somit Kreativität und freiheitliches Denken zu fördern.

Dabei geht es nicht um die Realisierung von technologischem Fortschritt als Selbstzweck. Die digitale Transformation ist zu einem entscheidenden Faktor geworden, um Deutschlands Position als führende Industrienation im globalen Wettbewerb langfristig zu sichern. Unsere zentrale Herausforderung besteht nun darin, die beschriebenen Chancen schnell und umfassend zu nutzen und die Risiken zu minimieren.

Viele Folgen aus der neuen industriellen Revolution sind absehbar: Betroffen sind von der vierten Industriellen Revolution nun auch solche Berufsgruppen, in denen sich bisher viele Mitarbeiter als Wissensarbeiter auf der »sicheren Seite« wähnten. Genau diese Berufsgruppen stehen im Fokus: Vom Sachbearbeiter in der Versicherung bis hin zum Wirtschaftsprüfer. Die im Change Prozess von Kotter[1] beschriebenen Phasen von Realitätsverweigerung, Widerstand bis zur Adaption und positiven Gestaltung sind zu erwarten. Man kann allerdings auch positive Effekte wahrnehmen. Wenn Tätigkeiten, die keinen unmittelbaren Nutzen für Menschen stiften, sondern den Transaktionskosten zuzurechnen sind weitestgehend technisiert werden, dann muss man dies nicht bedauern und sollte im Gegenteil versuchen diesen Prozess zu beschleunigen.

Hilfreich mag in Bezug auf den zu erwartenden gesellschaftlichen Veränderungsprozess und das mögliche Konfliktpotenzial die folgende Erinnerung sein: Für die deutschen Bergleute, gibt es heute in Deutschland einen Arbeitsmarkt von exakt 0 Arbeitsplätzen. 2018 werden in Nordrhein-Westfalen vermutlich die letzten Zechen für den Steinkohleuntertagebau geschlossen. Gleichzeitig herrscht in manchen Branchen wie z.B. im Pflegebereich ein Fachkräftemangel (allerdings zu anderen Gehältern) und das Ende der Arbeitsgesellschaft ist noch nicht eingetreten.

Daher ist auch bei den kommenden Veränderungen durch die KI anzunehmen: Weder wird der Mensch ersetzt werden noch ist ein komplett automatisiertes Land der Freiheit zu erwarten, in welchem menschliche Arbeit nicht mehr notwendig sein wird. Gleichwohl war und ist Strukturwandel eine große gesellschaftliche und sozialpolitische und häufig auch menschliche Herausforderung.

Aufgabenbereiche anstelle von Arbeitsplätze ändern und ändern lassen!

Wann immer ich mit Leuten über die möglichen Auswirkungen von künstlicher Intelligenz (KI) und Robotik spreche, ist es klar, dass es viele Ängste gibt, die diese Entwicklungen umgeben. Dies ist kein Wunder, da diese Technologien bereits einen großen Einfluss auf die Arbeitswelt haben: KI-gestützte Algorithmen, die optimale Wege empfehlen, um die Einnahmen von Uber-Fahrern zu maximieren oder die das Marketing bei Zalando optimieren[2]. Wir stehen am Rande enormer Veränderungen der Arbeit. Millionen von Arbeitsplätzen werden betroffen sein, und die Art der Arbeit selbst kann sich grundlegend ändern. Wir sind verpflichtet, diese Zukunft zu gestalten – die gute Nachricht ist, dass wir es können. Es ist einfacher, die Arbeitsplätze zu sehen, die verschwinden werden, als sich die Arbeitsplätze vorzustellen, die in der Zukunft entstehen, aber noch unbekannt sind. Wenn wir, wie das Wall Street Journal[3] es vorschlägt, die KI als eine Technologie ansehen, die vorhersagt, ist es viel einfacher, ihre Auswirkungen abzubilden. Wir müssen uns dazu durchringen, die Zukunft der Arbeit zu verstehen und insbesondere akzeptieren, dass die Zukunft der Arbeit nicht der aktuellen oder vergangenen Version entspricht.

Wenn wir uns vorstellen, wie sich die Arbeitswelt entwickeln wird, sind einige Prinzipien zu beachten. Es ist aus meiner Sicht absehbar, dass eher Aufgabenbereiche ersetzt werden als dass sich Arbeitsplätze oder Berufe insgesamt ändern. Wir sind mitten in einer „Vierten industriellen Revolution“, nach Dampfkraft (die erste), elektrische Energie (die zweite) und Digitalisierung (die dritte). Die vierte, die KI und Robotik sowie andere Technologien umfasst, wird eine noch größere Wirkung und Einfluss auf die Wirtschaft haben. Natürlich schaffen die meisten neuen Technologien neue Möglichkeiten, wenn sie alte Arbeitsplätze beseitigen, aber es gibt kaum eine perfekte Übereinstimmung zwischen diesen beiden Kräften. Die Menschen, deren Jobs weg sind, werden nicht leicht für die neuen Jobs umgeschult und das kann zu Wut und sozialen Unruhen führen – und auf kurze Sicht zu massiven Ungleichheiten, sowohl in den Regionen als auch in den sozialen Schichten von Menschen. Es ist wichtig, sich auf Veränderungen vorzubereiten, indem Sie sich über neue Technologien auf dem Laufenden halten, sowohl im Allgemeinen als auch in Ihrem spezifischen Bereich. Lernen Sie so viel wie möglich und halten Sie Ihre Fähigkeiten auf dem neuesten Stand.

Die große Herausforderung hierbei ist aber das die Umorientierung – der Change – innerhalb des bestehenden Arbeitsumfeldes durchzuführen ist. Parallel müssen wir anfangen, die nötige Flexibilität und Fortbildung zu organisieren. Dieses sollte auch als eine Möglichkeit der aktiven Mitarbeiter Retention angesehen werden.

Grundsätzlich ist auch die Diskussion mit den Gewerkschaften frühzeitig zu führen. Noch haben US Unternehmen wie Amazon wenig Verständnis für die gewerkschaftliche Organisation der Mitarbeiter.

Gewerkschaften selbst verstehen die Diskussion aber gut und stellen sich ihr aktiv. So sagt beispielsweise der ver.di Chef Bsirske in einem Interview mit „Der Zeit“ [4]: „Denn der Arbeitsmarkt ist durch die Digitalisierung im Umbruch. Innerhalb von zehn Jahren könnten 1,5 Millionen Jobs verschwinden, besonders im Einzelhandel, in der Logistik und in der öffentlichen Verwaltung – das zeigt eine Studie des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Gleichzeitig aber sollen fast genauso viele Jobs an anderer Stelle entstehen, besonders in den Bereichen Erziehung, Bildung und Pflege. Das Problem ist nur, dass die berufliche Qualifikation derer, die ihren Job verlieren, eine andere ist als die dann verlangte. Wie baut man das um?“

Der Change wird uns insbesondere in Bereichen vor Herausforderungen stellen in denen die relative Veränderung der individuellen Produktivität zu einer Neubewertung des Arbeitsplatzes führt.

Sollte weiterhin die Erwartungshaltung bestehen, dass sich die Gehaltsstruktur in den betroffenen Bereichen nicht ändert wird dies zu Konflikten führen. Die häufig angebrachte „Disruptivität“ zeigt in diesem Fall auch an, dass auch diese Bereiche einem Change unterworfen sind und es kein „alles bleibt wie es ist“ geben kann. Ob dieser Change nun durch die insbesondere in Deutschland starken Sozialsysteme aufgefangen werden oder beispielsweise durch eine frühzeitige Einrichtung eines „Qualifizierungsfonds“, wie es ver.di in den aktuell laufenden Verhandlungen mit der Versicherungswirtschaft fordert, bleibt abzuwarten.

Aus meiner Sicht wäre es falsch, die Folgen der Digitalisierung und den Zusammenhang mit der KI als Thema für die nächste oder übernächste Generation zu sehen. Es ist wichtig, dass wir uns den Herausforderungen heute stellen und gerade mit Blick auf den Change der Entscheidungsprozesse in Unternehmen und Gesellschaft Erfahrungen bei der Digitalisierung nicht blockieren oder abwarten, sondern uns aktiv mit unserer Erfahrung in die Erneuerung der Prozesse einbringen. Die in manchen Kreisen vorhandene Anti-Silicon-Valley Mentalität ist hierfür nicht hilfreich – rein der äußerliche Wandel der Manager in dem sich Turnschuhe angezogen und Krawatten abgelegt werden führt noch nicht zu einer erfolgreichen digitalen Transformation des Unternehmens[5].

Vorhersagen zu Arbeitsmärkten und der Künstlichen Intelligenz

Ist Deutschland überhaupt noch wettbewerbsfähig im internationalen – digitalen – Vergleich? Wenn man den diversen Studien Glauben schenken darf, die in den letzten Jahren erschienen sind, wie z.B von Deloitte oder Randstad[6], dann kann Deutschland auf einen hervorragenden Pool an gut ausgebildeten digitalen Talente aus dem eigenen Land und auch aus dem Ausland zurückgreifen, aber den Unternehmen in Deutschland mangelt es an Investionsfreude in digitale Technologien und in Startups. Wenn wir hier nun noch weiter in Richtung Digitalisierung im B2C Umfeld schauen fällt auf, dass wir bei den Produkten wie z.B. Smartphones, Software und Tabletts meilenweit hinter den asiatischen und amerikanischen Firmen zurück sind. Diese Unternehmen wie z.B. Google, IBM oder auch Amazon schauen mit Hinblick auf die Talentpipeline auf den Standort Deutschland, um ihren Wettbewerbsvorteil weltweit mit Talenten aus Deutschland auszubauen. Wo aber sind das Deutsche Google, Amazon oder Facebook? Das einzige Software Unternehmen von internationalem Rang in Deutschland ist SAP – und dies ist inzwischen auch schon 45 Jahre alt. Die meisten international erfolgreichen Startups aus Deutschland sind Kopien von erfolgreichen amerikanischen Geschäftsmodellen (Zalando, et al) oder kleine Nischenplayer wie TeamViewer – die inzwischen auch einem angelsächsischen Finanzinvestor gehören. KI Player aus Deutschland? Neben arago und Symanto gibt es wenige. Gefährdet die zunehmende Amerikanisierung also Jobs in Deutschland oder ist ein Ausverkauf an digitalen Talenten zu befürchten?

Die Effektivität einer eingesetzten KI ist umso höher je standardisierter die Aufgaben sind, die sie erledigen soll. Über neuronale Netzwerke und anhand von vielen Datenpunkten (=BigData) lernt das KI System ständig hinzu. Sprich je häufiger eine Aufgabe ähnlich oder sogar identisch ausgeführt wird desto schneller lernen die Systeme hinzu bis zu einem Punkt wo die Tätigkeiten dann immer komplexer werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist das „Alpha Go Zero“ System von Google[7]: Ein System was in der aktuellen Version ohne jegliche Daten von sich selbst lernt und dann nach wenigen Tagen in der Lage ist gegen sich selbst und alle Vorgängerversionen – die selbst schon die stärksten „Go“ Spieler geschlagen haben – zu gewinnen.

Was bedeutet das nun für die Jobs die durch einen großen Anteil von Routineaufgaben geprägt sind?

Diese Aufgaben sind stark gefährdet – insbesondere auch im Mittellohnsektor, wo häufig viele repetitive Aufgaben zu finden sind.

Explizit spreche ich aber nicht die Handwerker und die Berufsgruppen an, wo viele manuelle Tätigkeiten repetitiv durchgeführt werden. Diese werden in Zukunft noch stärker als heute schon benötigt und der heutige Fachkräftemangel wird weiter steigen. Diese These wird auch von einer aktuellen Studie des McKinsey Instituts aus 2017[8] unterstützt. Ein paar Kernaussagen der Studie hierzu sind:

  • Die Automatisierung von Aktivitäten kann Unternehmen ermöglichen die Leistung zu verbessern, indem Fehler reduziert werden und führt zu einer Verbesserung der Qualität und Geschwindigkeit. Sie erzielt in einigen Fällen Ergebnisse, die über die von Menschen hinausgehen. Automatisierung trägt auch dazu bei, die Produktivität zu steigern. Historisch gesehen ist dies auch meistens der Fall gewesen
  • Etwa die Hälfte aller Jobs haben das Potenzial, durch KI automatisiert zu werden. Während weniger als 5 Prozent aller Jobs vollständig automatisiert werden können haben etwa 60% ein Potential von mindestens 30% der Aktivitäten, die automatisiert werden könnten. Es werden sich also mehr Jobs ändern als das sie durch Automatisierung und KI vollständig wegfallen

Dem zur Folge bleiben also auch Büroarbeitsplätze und viele Sachbearbeiter Tätigkeiten hiervon nicht verschont, insbesondere dann, wenn die KI diese Aufgaben schon heute günstiger, schneller und mit einer höheren Präzision ausführen kann. Häufig sind dies auch Tätigkeiten die bereits heute in das Outsourcing überführt worden sind. Dazu gehört insbesondere auch das sogenannte Business Process Outsourcing welches insbesondere Großbanken für Kreditprüfung, Compliance oder Antragsprüfung nutzen. Laut KPMG sind bis 2025 ca. 100 Millionen Arbeitsplätze weltweit in diesem Umfeld bedroht[9].

Wenn man einer aktuellen Studie von Xing und IZA Glauben schenken darf[10] befürchten „nur“ 12,6% der Arbeitnehmer, dass ihr Job auf Grund von zunehmender Automatisierung und Digitalisierung in den nächsten 5 Jahren wegfallen könnte. Bei in 2017 aktuell ca. 43,98 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland[11] wären das ca. 5,54 Millionen Arbeitnehmer, die sich zusätzlich zu den durchschnittlich ca. 2,6 Millionen Arbeitslosen in 2017 nach einem neuen Job umsehen müssten[12].

Qualifizierung sichert Arbeitsplätze am Beispiel Microsoft

Dazu ist es wichtig, dass die Teilhabe an technologischem Fortschritt für alle gesellschaftlichen Gruppen von Beginn an gewährleistet ist. Der Schlüssel hierfür liegt in der Förderung von digitaler Qualifizierung, die sich zukünftig über alle Altersklassen hinweg erstrecken muss. Wir müssen daher Lehrer und Eltern dabei unterstützen, Kindern und Jugendlichen frühestmöglich einen souveränen Umgang mit digitalen Technologien zu ermöglichen. Mit der Initiative „Schlaumäuse – Kinder entdecken Sprache“ engagiert sich Microsoft beispielsweise bereits seit dem Jahr 2003 für die frühkindliche Sprachförderung in Deutschland. Mithilfe einer eigens entwickelten, kostenlosen Lernsoftware können Kinder im Alter von fünf bis sieben Jahren spielerisch die deutsche Sprache lernen und gleichzeitig den sinnvollen Umgang mit digitalen Medien üben. Die Initiative „Code Your Life“ vermittelt Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen zehn und vierzehn Jahren grundlegende Kenntnisse des Programmierens und soll Lust machen auf digitale Arbeitsplätze und Karrieren in der Technologiebranche. Darüber hinaus begleitetet Microsoft junge Erwachsene mit internationalen Programmen wie BizSpark von der Schule über die Universität bis zu den ersten beruflichen und unternehmerischen Erfahrungen, um Fachkräfte und Unternehmertum in der Technologiebranche zu fördern. Als Speerspitze des Gründerengagements in Deutschland wurde Ende 2013 in Berlin mit dem Microsoft Accelerator ein Ort geschaffen, der erfolgversprechenden Hightech-Startups in ihrer Frühphase für einen Zeitraum von vier Monaten umfassendes Mentoring, Coaching und Workshops zu Technologie, Design, Business Development, Marketing und HR bietet.

Wir leben in einer spannenden Zeit: Fast jeder Aspekt unseres Lebens wird durch Technologie verändert – und das in atemberaubendem Tempo. Und damit spielt Programmieren in allen Bereichen des heutigen Lebens eine wichtige Rolle. Viele Dinge des tagtäglichen Gebrauchs sind nur durch das Schreiben von Computer Codes möglich geworden. Auf dem Arbeitsmarkt werden händeringend qualifizierte Nachwuchskräfte und junge Unternehmer im Bereich ITK gesucht. Informatik- und Programmierkenntnisse sind mittlerweile zu einem Schlüssel für zukünftige Potentiale und Karrieren in der Arbeitswelt geworden.

Dabei geht es nicht nur darum, zu lernen, wie Algorithmen geschrieben werden. Um einen Roboter zum Laufen zu bringen oder um den eigenen Avataren im Spiel die richtigen Handlungen für eine Aufgabe beizubringen, benötigen die jungen Menschen Abstraktionsfähigkeit, Kreativität und Problemlösungskompetenz. Es ist daher völlig unverständlich, wie das Fach Informatik nicht in allen Bundesländern fest in die Lehrpläne integriert sein kann oder es wie in Hamburg sogar aus den verpflichtenden Lehrplänen verschwindet.

Der Mensch wird also durch KI als Arbeitnehmer nicht ersetzt, aber der globale Arbeitsmarkt wird sich massiv verändern. Nach jeder industriellen Revolution gab es bisher mindestens so viele Arbeitsplätze wie früher. Das Nettoergebnis war ein Anstieg der Produktivität und der Anzahl der Beschäftigten, was das Gesamtvermögen erhöhte. Aber das war während der jeweiligen industriellen Revolution vorab so nicht absehbar und keine ausgemachte Sache. Auch die Arbeitsteilung wird von KI massiv betroffen sein. Die Frage ist nun, wie viele gutverdienende KI Profis es in Deutschland geben wird. Der heutige Talentpool in Deutschland an verfügbaren IT-Experten liegt unter dem vieler anderer Staaten, und die Hauptschwachpunkte liegen in der Qualifikation von aktuellen Arbeitnehmern und in der Forschung[13]. Bei Nachwuchstalenten, besonders Absolventen von MINT Fächern, liegt Deutschland in einer Spitzenposition hinter Großbritannien. Um diese Lücken zu schließen, sind aktive Maßnahmen überfällig:

  1. [14]

„Focus on retaining talent, but if no one leaves, start worrying.”[15]

Unter Retention Management versteht man die Mitarbeiterbindung, auch Personalbindung genannt. Dieses ist ein dauerhafter, wechselseitiger Prozess, der ein dynamisches Zusammenspiel zwischen Mitarbeitern, Führungskräften und Unternehmen erfordert. Sie ist ein Ziel, welches individuell auf die Bedürfnisse von Unternehmen und Mitarbeitern angepasst werden muss und dem verschiedene Instrumente zur Verfügung stehen. Hohe Flexibilität ist nötig, um die Bindung dauerhaft positiv zu gestalten. Somit wird Mitarbeiterbindung zu einer Daueraufgabe.[16]

Mitarbeiterbindung wird dadurch charakterisiert, dass die Vorteile des Verbleibs im Unternehmen, gegenüber einem anderen Arbeitgeber, überwiegen und damit die Verweildauer in einem Unternehmen verlängert wird. Qualifizierte Mitarbeiter sind durch verschiedene Anreizsysteme vom Verbleib in einem Unternehmen zu überzeugen, sodass dem Mitarbeiter ein Gefühl der Verbundenheit übermittelt wird.[17]

Das Ziel von Retention Management ist es nicht nur die eigenen Mitarbeiter langfristig und nachhaltig zu motivieren, sondern sie zu begeistern und somit möglichst langfristig an das eigene Unternehmen zu binden. Hierbei geht es nicht um den FatBoy, Kicker oder das tägliche frische Obst und Mate Tee, sondern vor allem um eine wertebasierte Führung, gute und regelmäßige Mitarbeitergespräche, einem authentischen Employer Branding und last but not least gute und stringente Onboarding Prozesse. Ein wichtiger Punkt für ein erfolgreiches Retention Management in Zukunft wird die aktive Förderung von Aus- und Weiterbildung – insbesondere in neuen, digitalen Technologien und der KI sein.  

Laut Kanning[18] basiert eine hohe Bindung der Mitarbeiter im Wesentlichen auf drei psychologischen Phänomenen: der Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter, dem Grad der sozialen Identifikation mit einer bestimmten beruflichen Rolle sowie dem Commitment – also der Verbundenheit der Mitarbeiter mit ihrem Arbeitgeber.

Diese Verbundenheit mit dem Unternehmen lässt sich dadurch steigern, dass die Aus- und Weiterbildung in digitalen Technologien verstärkt wird. Insbesondere ein Verständnis für die KI wird in Zukunft wichtig sein. Kerntechnologie der neuen Generation von intelligenten Systemen sind maschinelle Lernverfahren und vor allem die tiefen Lernverfahren. Sie werden schrittweise Einzug halten in die Ausbildung von Data Scientists, die ohnehin die Analyse von heterogenen großen Datenströmen beherrschen sollten.

Die ökonomische Bedeutung von gebundenem und nicht gebundenem Personal wird zukünftig durch den demografischen Wandel noch erheblich steigen, wenn der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung in Zukunft abnimmt. Dadurch verringert sich die Zahl der Fachkräfte im „besten Alter“; der Wettstreit um die Rekrutierung, vor allem aber die Bindung der, in der Regel, älteren Leistungsträger wird immer wichtiger für die Überlebensfähigkeit von Unternehmen.

In der Executive Guidance 2011 des Corporate Executive Board mit dem Titel »Achieving Intelligent Growth« sind vier wesentliche Erfolgsfaktoren profitabel wachsender Unternehmen beschrieben. Der Kern Faktor ist das Key Talent Engagement: «Not surprisingly, intelligent growth demands an intensive focus on the quality of talent throughout the enterprise. But true leaders place a particular emphasis on identifying and motivating critical talent in the business«.[19] Zwei wesentliche Unterschiede zwischen profitabel wachsenden Unternehmen und dem Rest sind laut dieser Studie die Fähigkeit, die richtigen Talente anzuziehen und diese zu entwickeln. Dies ist aus meiner persönlichen Erfahrung in Leadership Rollen in 3 Hightech Konzernen nicht weiter verwunderlich.

Muss nun dafür jeder Mitarbeiter eine Programmiersprache erlernen? Sicherlich nicht. Aber jedem Mitarbeiter wird es in Zukunft noch mehr als heute helfen digitale Abläufe zu verstehen, um diese dann in den Arbeitsalltag integrieren zu können. Somit bekommt die Förderung der Aus- und Weiterbildung innerhalb des Retention Managements eine noch stärkere Rolle als die anderen 3 Punkte (s.o.) und verhilft dem Unternehmen nicht nur zu weiterem, profitablen Wachstum sondern auch zu einer stetig steigenden Mitarbeiterzufriedenheit und einer erhöhten Verbundenheit der Mitarbeiter zum Unternehmen.

Chancen und Risiken gestalten statt gestalten lassen!

Die Chance besteht, die Situation des Technologiewandels zu nutzen, um eingeübte und etablierte oder auch routinierte und festgefahrene Strukturen unseres eigenen Handelns, der Art unserer Organisationen und Zusammenarbeit und auch der gesellschaftlichen Kommunikation und Organisation neu zu überdenken und zu reformieren. Es gibt keine Garantie, dass dies nur zum Positiven geschieht. Umso wichtiger ist es für die europäischen Gesellschaften, ihre eigenen Traditionen und Werte in die laufende technologische Entwicklung einzubringen und die Gestaltung der Veränderungen nicht anderen zu überlassen.

Big Data und KI haben das Potenzial, dass sie mit ihrer zunehmenden Nutzung die Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen in der Gesellschaft verändern. Bei der Beurteilung von Chancen und Risiken dieser Zukunftsentwicklungen sollte ein realistisches Bild der Gegenwart zugrunde gelegt werden. Man soll nicht eine imperfekte analoge Realität mit einer perfekten digitalen Zukunft vergleichen. Vielmehr sollten die Treiber der technologischen Entwicklung lernen, dass neue Technologien keine neue Welt sind, sondern neue Möglichkeiten in eine schon längst bestehende Welt bringen. Deren Integration braucht Zeit. Umgekehrt sind große Teile der Gesellschaft, als Führungskräfte und Arbeitnehmer, als Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften, als Politiker und Verbandsvertreter aufgefordert, zu erkennen, dass überkommene Verhaltensweisen, Gewohnheiten, aber auch politische Strukturen und Rechtsnormen stets Antworten auf vergangene historische Erfahrungen sind. Möglicherweise müssen auch diese sich weiter entwickeln.

Wie gehen wir mit Hoffnungen und Ängsten um?

Zeiten technologischer Veränderungen haben Phasen von Hoffnungen – realistische und enttäuschende – und Ängsten – unbegründeten wie unausweichlichen. Einen derartigen Wandel gesellschaftlich gut zu gestalten, ist eine Herausforderung in sich. Der CEO von Microsoft – Satya Nadella – wies auf dem World Economic Forum 2017 in Davos darauf hin, dass unsere Gesellschaften mit dieser Art von Herausforderungen vielfach in der Vergangenheit konfrontiert wurden. Der technologische Wandel hatte sowohl den wirtschaftlichen wie auch den sozialen Wandel mit sich gebracht.[20]

Dabei geht es nicht um die Veränderung an sich, sondern darum, wie wir mit dem häufigen Wandel und den schnellen und einschneidenden Veränderungen umgehen. Werden Veränderungen erstmal positiv aufgenommen oder steht man ihnen – wegen vieler Unwägbarkeiten und Herausforderungen skeptisch gegenüber. Der technologische Wandel hat bisherige Sozialverträge durchbrochen, und Institutionen wie Gewerkschaften und Krankenversicherungen sind als Ausgleich für das Ungleichgewicht geschaffen worden. Das Problem ist diesmal, ob das rasante Tempo des technologischen Fortschritts Teile der Gesellschaft noch weiter abhängt oder ob die KI uns hilft, die während der dritten Industriellen Revolution abgehängten Teile der Gesellschaft – ja sogar ganze Kulturen und Länder – wieder zu integrieren. Am Ende des Tages werden wir als Gesellschaft die KI für unsere weitere Entwicklung und eine (Re-)Integration benötigen.


[1]John P. Kotter „Leading Change“ erschienen bei Vahlen

[2] https://www.golem.de/news/marketing-zalando-ersetzt-beschaeftigte-durch-algorithmen-1803-133259.html

[3] https://www.wsj.com/articles/wesurvived-spreadsheets-and-well-survive-ai-1501688765

[4] http://www.zeit.de/wirtschaft/2017-08/digitalisierung-frank-bsirske-verdi-christoph-bornschein-tlgg

[5] http://www.zeit.de/2017/05/kalifornien-silicon-valley-innovation-arroganz-kapitalismus-weltverbesserung und http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/amerikansche-it-konzerne-im-tal-der-heuchler-1.3616441

[6] https://www2.deloitte.com/de/de/pages/trends/Datenland-Deutschland-Digitale-Wettbewerbsfaehigkeit-OECD-Vergleich.html

[7] https://en.wikipedia.org/wiki/AlphaGo_Zero

[8] https://www.mckinsey.com/global-themes/digital-disruption/harnessing-automation-for-a-future-that-works

[9] https://home.kpmg.com/ie/en/home/insights/2016/03/automation-will-change-the-way-we-work.html

[10] https://corporate.xing.com/de/newsroom/pressemitteilungen/meldung/izaxing-studie-keine-angst-vor-der-digitalisierung/

[11] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1376/umfrage/anzahl-der-erwerbstaetigen-mit-wohnort-in-deutschland/

[12] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1223/umfrage/arbeitslosenzahl-in-deutschland-jahresdurchschnittswerte/

[13] Digitale Wettbewerbsfähigkeit – Wo steht der Standort Deutschland? https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/de/Documents/deloitte-analytics/Studie_Datenland_Deutschland_Digitale_Wettbewerbsfähigkeit_im_OECD_Vergleich.pdf

[14] Als Basisaufsatz zum Thema „Retention Management“ im Allgemeinen sei verwiesen auf den Artikel von W.Jochmann „Retention Management – die Leistungsträger der Unternehmung binden“ erschienen in „Strategien der Personalentwicklung“ von HC Riekhof bei Gabler in 2006 sowie „Bausteine für Retention Management“ erschienen in 2012 auf gruenderszene.de von C.Buchheim.

[15] David J.Axson (2010): The Management Mythbuster, New Jersey: John Wiley & Sons

[16] Vgl. Loffing/Loffing, Mitarbeiterbindung ist lernbar, S. 4-6, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010

[17] Vgl. Liebhart, Mitarbeiterbindung: Employee Retention Management und die Handlungsfelder der Mitarbeiterbindung, S. 13.14, Diplomica Verlag 2009

[18] U.P. Kanning, Personalmarketing, Employer Branding und Mitarbeiterbindung, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017

[19] CEB – Corporate Executive Board (2010): Achieving Intelligent Growth – Insights from the Best Companies; Washington,S. 5

[20] Vgl. Wright/Marlow https://www.telegraph.co.uk/business/2017/01/22/tech-companies-new-whipping-boys-davos-threat-jobs/